Was ist präzise Applikationstechnik ?
Seit dem FAT-Bericht Nummer 499 mit dem Titel «Obstbau-Sprühgeräte – Gerätetechnik, Handhabung und Obstanlage entscheiden über Mittelanlagerung» aus dem Jahr 1997 gab es in der Schweiz keine umfangreicheren Untersuchungen und Publikationen mehr, wo Blattbedeckungsgrade der Spritzbrühe an unterschiedlichen Positionen im Baum genauer angeschaut wurden. Dank einer neuen Entwicklung aus Südafrika hat die Strickhof Fachstelle Obst 2023 Jahren damit begonnen, Untersuchungen zur Frage der Anlagerung von Pflanzenschutzmitteln auf Praxisbetrieben durchzuführen.
Präzise Applikationstechnik ist mehr als Abdriftminderung!
In Merkblättern, Fachartikeln oder beim Bund wird oft von präziser Applikationstechnik gesprochen, obwohl inhaltlich lediglich das Thema der Abdriftminderung gemeint ist. Selbstverständlich sind Massnahmen zur Adriftminderung aus verschiedenen Gründen ausserordentlich wichtig. Trotzdem haben abdriftmindernde Massnahmen streng betrachtet nichts mit präziser Applikation zu tun. Salopp ausgedrückt zielen abdriftmindernde Massnahmen darauf ab, dass der ausgebrachte Sprühnebel nicht im Feld des Nachbarn, auf der Strasse oder im angrenzenden Gewässer landet. Die Tatsache, dass die ausgebrachte Spritzbrühe in der eigenen Parzelle bleibt, bedeutet aber keineswegs, dass damit automatisch mehr Wirkstoff auf der gewünschten Zielfläche landet.
Präzise Applikationstechnik muss zum Ziel haben, dass möglichst viel ausgebrachter Wirkstoff da landet, wo er die gewünschte Wirkung entfalten kann. Dies ist aus verschiedenen Gründen von grosser Relevanz. Damit biologische Pflanzenschutzmittel oder chemisch-synthetische Belagsfungizide ohne systemische Wirkung beispielsweise gegen den Apfelschorf (Venturia inaequalis) wirken können, müssen diese in genügender Menge auf der Blattoberseite landen, wo die Schorfinfektionen erfolgen. Gerade im oberen Baumbereich zeigen unsere Versuchsresultate von Praxisbetrieben, dass eine gute Bedeckung der Blattoberseite mit den heutigen Baumhöhen und Reihenabständen trotz dem Einsatz von modernen Sprühgeräten mit einem Quer-resp. Schrägstromaufsatz oft nur schwer erreicht werden kann.
Enger und höher
Die Welt verändert sich. Bezüglich Applikationstechnik im Obstbau ist dies bei der Betrachtung der Veränderungen der «Hardware» (neue Pflanzenschutzspritzen, Düsen, Sensoren etc.) in den vergangenen 30 Jahren offensichtlich. Glücklicherweise sind Axialgebläse ohne Querstromaufsatz mittlerweile kaum mehr anzutreffen. Der Wechsel zu modernen Obstbauspritzen wurde dank den einmalig ausbezahlten Beiträgen von max. 25% der Anschaffungskosten neuer Pflanzenschutzgeräte durch den Bund im Rahmen der Ressourceneffizienzbeiträgen (REB) zwischen 2014 und 2024 beschleunigt.
Obstbaumspritzen mit einem Quer/Schrägstromaufsatz ermöglichen eine optimalere Führung des Trägerluftstroms mit deutlich flacheren Strömungswinkeln als Gebläse ohne einen solchen Aufsatz. Dieser Vorteil wird in modernen Obstanlagen aber mindestens teilweise wieder aufgehoben, weil sich im Gleichschritt mit der Weiterentwicklung der Technik auch die Obstanlagen stark verändert haben. Betrugen die Reihenabstände im Kernobstanbau Mitte der 1990er-Jahre noch verbreitet 3.5 - 4.0 m bei einer Baumhöhe von maximal 2.5-3.0 m, sind heute die Abstände zwischen den Reihen kleiner und die Bäume höher geworden. In modernen Produktionsanlagen mit Reihenabständen von 3.0-3.5m und Baumhöhen, die im Herbst in Bereiche von 3.5-4.0 m vorstossen. Produktionsanlagen mit geringen Reihenabständen und gleichzeitig hohen Bäumen verfügen zweifellos über ein hohes Ertragspotential. Dieser Vorteil geht aber häufig auf Kosten der Fruchtqualität im untersten Baumbereich und hat immer negative Auswirkungen auf die Qualität der Applikation, weil der oberste Baumbereich nur mit einem extrem steilen Strömungswinkel erreicht werden kann. In den beiden Tabellen ist zusammengefasst, welche Strömungswinkel bei 2 modernen Obstbauspritzen mit einem hohen Querstromaufsatz mindestens notwendig wären, damit die obersten Blätter durch den Trägerluftstrom gerade noch erreicht werden (Annahme: Die Breite des Baumes auf der maximalen Höhe beträgt 30 cm).
Der Unterschied des notwendigen Strömungswinkel beim Einsatz einer Obstbauspritze in unterschiedlichen Anlagetypen ist enorm. Strömungswinkel von über 45° sind sowohl aus Sicht des Abdriftrisikos, wie auch für die Erzielung einer guten Bedeckung der Blattoberseite mit der Spritzbrühe ein Problem. Da sich die Geometrie durch den Kauf einer neuen Obstbauspritze nur bedingt lösen lässt ist es wichtig im Auge zu behalten, dass steile Strömungswinkel und damit verbundene Applikationsprobleme auch durch eine vernünftige Reduktion der maximalen Baumhöhe gelöst werden können.
Zu hohe Luftvolumen sind negativ
Die Nutzung von im Gegensatz zu klassischen Hohlkegeldüsen grobtropfigeren Düsentypen wie Injektordüsen (ID) oder Antidriftdüsen (AD) sind wichtige Bausteine, unerwünschte Abdrift zu reduzieren. Im ÖLN muss bei jeder Anwendung eines Pflanzenschutzmittels durch gezielte Massnahmen mindestens 1 Abdriftpunkt erreicht werden. Punkte für abdriftmindernde Massnahmen gibt es in den Bereichen Düsen, Gerätschaften, Parzelle und Durchführung (siehe Agridea-Merkblatt «Abdrift und Abschwemmung im Pflanzenschutz (Raumkulturen), Ausgabe April 2025). Durch die Nutzung von ID-Düsen- (1 Punkt) oder AD-Düsen (0.5 Punkte) lassen sich ohne grossen Aufwand solche Punkte oder Teilpunkte sammeln, weshalb diese Düsentypen im Obstbau verbreitet eingesetzt werden. Verschiedene Versuche und die Praxis zeigen, dass die Nutzung von ID- oder AD-Düsen nicht zu einer schlechteren Wirkung von Pflanzenschutzapplikationen im Feld geführt haben.
Neben dem bereits erwähnten maximalen Strömungswinkel hat insbesondere der aus dem Gebläse austretende Trägerluftstrom einen grossen Einfluss auf die Applikationsqualität. Der Trägerluftstrom ist die Grundlage für die Kontrolle des Tropfentransports zwischen dem Gerät und dem Baum (Cross et al.; 1997). Der Trägerluftstrom beeinflusst also neben dem Spritzbild und der angelagerten Wirkstoffmenge auch die Spritzverluste. In der Praxis werden Sprühgeräte häufig mit zu hohen Luftvolumen betrieben, was sich negativ auf die Applikation auswirkt. Diese schlechtere Anlagerung der Spritzbrühe an den Blättern bei der Nutzung des höheren Luftvolumens konnte in einem Tastversuch am Strickhof 2023 aufgezeigt werden.
Neben der Reduktion des Luftvolumens über die Anpassungen der Zapfwellendrehzahl oder der Gebläsestufe kann das Luftvolumen auch indirekt über eine Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit erreicht werden (Triloff, 2011). So sinkt das Luftvolumen pro Meter Fahrtstrecke bei gleichbleibender Gebläsedrehzahl, was denselben Effekt erzeugt, wie wenn bei gleichbleibender Geschwindigkeit der Trägerluftstrom über die Gebläseleistung reduziert wird. Die Erhöhung von Fahrgeschwindigkeit und/oder Gebläsedrehzahl hat mit zunehmend steilerem Strömungsinkel zur Folge, dass die Reichweite in Richtung Gipfel der Bäume immer weiter sinkt, was besonders bei hohen Bäumen zu einer deutlich verschlechterten Anlagerung führt. Dieses Problem kann jedoch durch höhere Gebläse mit niedrigem Strömungswinkel und der Einstellung der vertikalen Luftverteilung auf einem Luftprüfstand behoben werden. Dabei wird bei geeigneten Gebläsetypen eine rechteckige Luftverteilung eingestellt, mit der die horizontale Reichweite über die gesamte erforderliche Arbeitshöhe konstant ist und über eine Veränderung von Fahrgeschwindigkeit und/oder Gebläsedrehzahl – ebenfalls über die gesamte Arbeitshöhe gleichmässig - verändert wird. Damit kann weitgehend unabhängig von der Fahrgeschwindigkeit die horizontale Reichweite des Trägerluftstroms so an eine nahezu beliebige Kronentiefe angepasst werden, dass fast der gesamte Sprühnebel im Baum bleibt, ohne dass die Arbeitshöhe abnimmt.
Unter Blinden ist der einäugige König
Bis vor kurzem kamen zur Überprüfung des Spritzbilds vorwiegend wassersensitive Papiere zum Einsatz. Die Kolleginnen und Kollegen vom Arenenberg haben in den letzten Jahren für die schnelle Überprüfung der Applikationsqualiät auch sehr gute Erfahrungen mit dem Tonmineral Kaolin gemacht. Seit 2023 steht mit Dropsight®, einer Entwicklung aus Südafrika, eine weitere spannende Option zur Verfügung, die zwar aufwendiger durchzuführen ist als die vorgenannten Möglichkeiten, dafür deutlich genauere Ergebnisse zur Applikationsqualität liefert. Nach der Ausbringung eines UV-Tracers (Markierungsstoff) werden Blätter gesammelt, 24h gepresst, von beiden Seiten fotografiert und anschliessend mit Hilfe einer KI-unterstützten App auf dem Mobiltelefon analysiert. Die Ergebnisse zeigen, wie viel Prozent der Blattfläche vom Spritzbelag bedeckt wurde. Mit diesen Informationen wird es erstmals mit vernünftigem Aufwand möglich, genauere Aussagen zur Applikationsqualität in verschieden Baumbereichen auf Praxisbetrieben zu machen und auch visuell nicht sichtbare Unterschiede zu erkennen.
Für die Blattanalysen wurden in unseren Versuchen pro Versuchsvariante jeweils 12-18 Blätter in 6 verschiedenen Zonen der Baumkrone entnommen. Die Zonen sind aufgeteilt in den obersten halben Meter der Baumkrone, den unmittelbar darunterliegenden halben Meter, die Mitte der Baumkrone (Aussen und Innen) sowie den untersten Baumbereich bis maximal 1m ab Boden (Aussen und Innen). Die bisher durchgeführten Versuche durch die Strickhof Fachstelle Obst verdeutlichen, dass die Resultate der Applikationsqualität regelmässig anders ausfallen als erwartet. Wir stellten in all unseren bisherigen 15 Versuchsvarianten fest, dass die prozentuale Blattbedeckung mit der Spritzbrühe auf der Blattunterseite durchschnittlich um den Faktor 2.2 bis 6.3 höher ausfällt als auf der Blattoberseite. Wegen den häufig steilen Strömungswinkeln ist es besonders im obersten Baumbereich schwierig eine genügende Bedeckung der Blattoberseite zu erzielen. Die Bedeckung Betrug im schlechtesten Fall durchschnittlich nur 1,8%, im besten Fall 8,9% des Blattes.
Spannend sind die Resultate aus einem Versuch im Jahr 2023, bei welchem 4 verschiedene Varianten miteinander verglichen wurden. Dabei wurden verschiedene Luftvolumen und eine Anpassung der Fahrtgeschwindigkeit angeschaut. Die Praxisanlage verfügt im Herbst über bis zu 4 m hohe, schlanke Apfelbäume bei einem Reihenabstand von 3,3 m. Der Versuche wurden 2023 mit dem Sprüher Wanner 36GA und Lechler Injektor-Flachstrahl IDK-9001 durchgeführt. Der Betrieb setzte sein Sprühgerät bisher mit einer Zapfwellendrehzahl von 420U/min bei einer Fahrtgeschwindigkeit von 8km/h ein (Abb. 4). Dabei konnte die Blattoberseite im obersten Baumbereich von 3-4 m gut benetzt werden, allerdings auf Kosten des mittleren und unteren Baumbereichs. Grund dafür ist das hohe Luftvolumen, welches zwar hilft, den Baumgipfel besser zu erreichen, den Sprühnebel aber durch den mittleren und unteren Baumbereich bläst. Sobald das Luftvolumen stark reduziert wird oder die Fahrtgeschwindigkeit bei schwach reduzierten Luftvolumen von 8 km/h auf 9 km/h erhöht wird, sinkt die Anlagerung im obersten Baumbereich deutlich. Die ausgeglichenste Blattbedeckung der 4 Varianten wurde in diesem Versuch mit einer auf 370 U/min reduzierten Zapfwellendrehzahl bei einer Fahrgeschwindigkeit von 8 km/h erzielt.
In einem anderen Versuch war das Ziel, ein besseres Bild darüber zu bekommen, ob die elektrostatische Aufladung der Tropfen im Sprühnebel einen Effekt auf das Spitzbild ergibt. Der Versuch wurde auf einem Praxisbetrieb mit dem Sprühgerät Tifone bravo 500 mit Torre AA 32/180 Dielectric Gebläse und Hohlkegeldüsen Albuz ATR 8002 durchgeführt. Die Idee hinter der elektrostatischen Aufladung besteht darin, die Tropfen positiv aufzuladen, damit sich diese besser an der negativ geladenen Pflanze anlagern. Zu unserem grossen Erstaunen war ein erheblicher Effekt der Elektrostatik festzustellen. Dieser Effekt war jedoch keineswegs positiv, denn sobald die Elektrostatik aktiviert wurde, halbierte sich die Blattbedeckung der Spritzbrühe in sämtlichen Zonen des Baumes. Dieses Ergebnis kam für uns völlig unerwartet. Woher dieser negative Effekt kommt und ob dies ein generelles Problem darstellt, werden wir in weiteren Versuchen prüfen.
Was wir von sämtlichen Versuchen mit Dropsight® in den vergangenen 2 Jahren gelernt haben ist, dass wir offensichtlich keine wirklich gute Ahnung davon haben, wie präzise oder unpräzise die Applikationstechnik im Feld wirklich ist. Gleichzeitig konnte dank den ersten Resultaten auf einzelnen Praxisbetrieben bereits eine Verbesserung der Applikation erreicht werden. Der Strickhof bietet Zürcher Obstbaubetrieben seit diesem Jahr an, die Applikationsqualität im Feld mit Hilfe von Dropsight® zu überprüfen.
Dank
Ein grosser Dank gilt allen Betriebsleitenden, welche sich bereit erklärt haben auf ihren Betrieben Applikationsversuche durchzuführen. Einige Applikationsversuche mit Dropsight® wurden im Rahmen des Projektes PFLOPF und mit Unterstützung der Projektpartner durchgeführt.
Quellen
- Cross JV, Ridout MS, Walklate PJ (1997) Adjustment of axial fan sprayers to orchard structure. Bull OILB/SROP 20: 86–94
- Iria E., Heusser J., Siegfried W., Holliger; Obstbau-Sprühgeräte; FAT-Berichte Nr. 499, FAT (1997)
- Triloff P.; Verlustreduzierter Pflanzenschutz im Baumobstbau, Verlag Grauer (2011)
- https://agridea.abacuscity.ch/abauserimage/Agridea_2_Free/3340_4_D.pdf?xet=1744863426596