Von Römern, Persern und Azteken: Die ganze Welt auf dem Gemüseteller
Fangen wir beim Spinat an. Heute wird er oft im Vertragsanbau grossflächig angebaut und findet häufig Verwendung in der verarbeitenden Lebensmittelindustrie. Spinat gilt gewissermassen als ein nüchterner, pragmatischer Vitaminlieferant. Aufgrund dieser funktionellen Zweckmässigkeit ist er auf den ersten Blick aber vielleicht auch etwas langweilig. Dabei lässt sich seine spannende Herkunftsgeschichte schon alleine vom Namen her ableiten: So geht man davon aus, dass sich das ursprünglich persische aspanaj über das Arabische isfanadj zum spanischen espinaca, dem französischen épinard und dem deutschen Spinat hin abwandelte. Dies zeichnet wunderbar die "Einwanderungsroute" ausgehend vom Orient über die Araber/Mauren, die im Frühmittelalter ins heutige Spanien gelangten, bis nach Mitteleuropa nach. Weiter in Europa verbreitet wurde der Spinat im Hochmittelalter dann ebenfalls durch die Kreuzfahrer, die Spinat quasi als "Mitbringsel" aus dem nahen Osten mit nach Hause brachten. Was für eine eindrückliche Reise dieser unscheinbaren Pflanze!
Zweites Beispiel das flächenmässig am meisten angebaute Gemüses der Schweiz: Das Rüebli. Die Abstammungsgeschichte der heute angebauten Kulturformen ist bis heute nicht vollständig geklärt. Wilde Spezies der Gattung Daucus kommen vor allem im Mittelmeergebiet und in Südwest-Asien vor. Bei den Kulturformen geht man verglichen mit den Getreidearten von einer relativ späten Domestizierung aus. In antiken Schriften der Griechen und Römer gibt es zwar Hinweise auf die Nutzung von Karotten, jedoch eher als Arzneipflanze und nicht zu Speisezwecken. Zudem ist auch nicht abschliessend klar, ob die antiken und frühmittelalterlichen Autoren Karotten, Pastinaken oder andere Doldenblütler beschrieben, da die heute charakteristische Färbung in den ursprünglich weissen Rüben noch nicht vorhanden war. Rotviolette und gelbe Karotten wurden erst ab dem 10. Jh. im Iran und Syrien angebaut, woher diese Farbvarianten wiederum über die Araber in Europa verbreitet wurden. Für das Hochmittelalter geht man in Europa von einer sehr vielfältigen Färbung der genutzten Karotten aus. Der gegenwertige Trend der "farbigen Rüebli" ist also keine moderne Erfindung, sondern eher ein Zurück zu den Wurzeln. Die heute weltweit dominierenden orangen Varietäten nahmen erst im 17. und 18. Jh. in den Niederlanden ihren Ursprung.
Den Ägyptern haben wir wahrscheinlich die erste Kultivierung des Lauch zu verdanken. So wurden Pflanzenreste in Gräbern aus der Zeit des Neuen Reichs (1550 bis 1320 v. Chr.) gefunden. Auch die Griechen und Römer kultivierten offenbar bereits häufig Lauch. Im Mittelalter war Lauch schon in ganz Europa verbreitet. Ob wir einen mittelalterlichen Lauch sofort als solchen erkennen würden ist allerdings fraglich. Denn erst seit der Renaissance fokussiert die Züchtung und auch die Kulturtechnik auf das Erzielen von langen, ausgebleichten, weissen Lauchschäften. Mittelalterlicher Lauch zeigte hingegen noch eine ausgeprägte Zwiebelbildung an der Pflanzenbasis. Eine ganz besondere Bedeutung hat Lauch übrigens in Wales wo er als eines der nationalen Symbole innerhalb des British-Empire galt und gilt, vergleichbar etwa mit der Schottischen Distel, dem Irischen Kleeblatt oder dem Kanadischen Ahornblatt. Lauch finden sich sogar als Emblemen auf walisischen Gardeuniformen. Auch als Gemüsepflanze kann man es also zu Ruhm und Ehre schaffen!
Neuankömmlinge aus Übersee
Obschon die italienische Küche heute ohne Tomaten eigentlich nicht mehr denkbar ist, verdanken wir die Tomate nicht den antiken Römern. Der Name Tomate leitet sich vom aztekischen Begriff Xitomatl oder kurz tomatl ab, was übersetzt etwa so viel wie "Nabel des dicken Wassers" oder auch "Schwellpflanze" bedeutet. Der Name weist auf die rasch grösser werdenden Früchte hin. Als Ursprung der Domestizierung der Wildformen der Tomate konkurrieren das Gebiet des heutigen Peru, Ecuador mit Mexiko. Eine Kultivierung ist jedenfalls bereits aus dem 5. Jh. v. Chr. belegt. Nach Europa gelangte die Tomate jedoch erst mit den Spaniern nach der Entdeckung der neuen Welt. In Spanien wurden Tomaten relativ schnell heimisch und in Form von Salaten verzehrt. Im übrigen Europa begegnete man der Tomate jedoch lange Zeit mit Skepsis, weil diese als ungeniessbar oder gar giftig galt. Man kultivierte sie daher vorerst nur als Zierpflanze. Der erwerbsmässige Anbau zu Speisezwecken begann in Italien erst im 18. Jh., in den deutschsprachigen Ländern sogar erst vor etwa 120 Jahren. Seither hat die Tomate aber einen steilen Aufstieg erlebt und ist heute das beliebteste Gemüse überhaupt.
Potential für die Vermarktung
Die Liste an interessanten Beispielen liesse sich noch endlos erweitern. Vom mehr oder weniger zufällig entdeckten Chicorée über den für die langen Transportwege in Nordamerika gezüchteten Eisbergsalat bis hin zum Kürbis-Hype infolge des Halloweenbooms in Europa. Der Gemüsebau wie er sich heute präsentiert, ist das Ergebnis eines kulturhistorischen Erbes, das den ganzen Erdball mit einschliesst. Die Entwicklung ist dabei keineswegs abgeschlossen. Anders als bei anderen landwirtschaftlichen Produkten gibt es einen schnellen Wechsel von Produkten die "In" und "Out" sind oder solchen, die komplett neu auf den Markt gebracht werden. Das schafft immer wieder Nischen und neue Verkaufsmöglichkeiten.
Auch die Herkunfts- und Kultivierungsgeschichte der Gemüsearten selbst könnte in der Vermarktung noch intensiver genutzt werden. Aus dem Weinbau kennen wir die Idee, dass mit dem eigentlichen Produkt noch viel mehr mitverkauft wird wie z.B. den landschaftsprägenden Charakter des Weinbaus, der Kopf des jeweiligen Winzers, die Verbindung zu einer Region, das "Terroir" usw. Eine Story eben! Zugegeben, die geselligkeitsfördernde Wirkung von Wein trägt sicher auch dazu bei, dass die Möglichkeiten gross sind. Dennoch bietet der Gemüsebau durchaus auch Einiges um nicht einfach austauschbares Massenprodukt zu sein. Gerade Direktvermarkter sollten diesen Schatz auf kreative Weise versuchen auszunutzen, an die Konsumentenschaft zu bringen und letztlich zu Erfolg zu machen.