Stimme aus der Biopraxis – November 2021
Zusammenhänge I
Rückstände in Bio-Produkten: im Juni 2021 stand ich am Feldrand eines unserer Felder. Von oberhalb strömte ein Bach Wasser aus einer Kartoffelparzelle. Der Schacht an der Grenze unserer Parzelle konnte nicht alles Wasser schlucken. Die Leitung, welche 200m weiter unten in einen Bach mündet, war für dieses Wasseraufkommen zu klein. Das Wasser, das aus dem Feld floss, roch nach den typischen Herbiziden, welche im Kartoffelanbau verwendet werden. Der Topografie wegen wurde nicht nur Feinerde aus dem Feld geschwemmt, sondern halt eben auch Pflanzenschutzmittel. Wenn die gleichen Mittel, die jetzt da ins Oberflächenwasser abgeflossen sind, auch in unseren Feldern landen, ist es klar, dass bei einer Rückstandskontrolle Rückstände gefunden werden und der Posten vom Verkauf gesperrt wird.
Eine weitere Begebenheit im Juni 2021: morgens 06.15 Uhr sitze ich am Frühstückstisch und sehe wie ein Nachbar in 250m Entfernung seine Zuckerrüben mit einem Herbizid nochmals behandelt. Er macht das vorbildlich: Es geht kein Wind und er fährt entlang des Feldweges, bespritzt auch nicht den grünen Randbereich der Parzelle. Beim zweiten Kaffee, also etwa 10min später: Die Sonne geht langsam auf und mit ihr schweben Wassertropfen nach oben. Und damit kommt auch der Duft des Rübenherbizids an den Morgentisch geschwebt. Dazwischen liegt eine Bio-Kopfsalatparzelle. Was wäre, wenn Rückstände jetzt gemessen werden? Ich stelle fest; die Pflanzenschutzmittel bleiben nicht immer dort wo die Landwirte sie gerne hätten.
Zusammenhänge II
Wir haben dieses Jahr in unseren Kohlfeldern die vom FIBL erprobten Nützlingsblühstreifen angesät. Für die Spaziergänger, die Nützlinge und Bienen und Insekten, eine super Sache! Was mir wichtig scheint ist, dass der Landwirt die Zusammensetzung der Pflanzenarten in diesem Blühstreifen genau kennt. Im Jahr darauf kann es sonst zu grossen Überraschungen kommen. Da viele dieser Pflanzen nicht einjährig sind, tauchen sie dann im Folgejahr als Durchwuchs wieder in der Nachfolgekultur auf. Das kann in Bio-Betrieben zu enorm hohen Unkraut-Jätkosten führen…Bis zum Punkt, dass die Leute, wenn wilde Möhren in der Mischung vorhanden waren, beim Jäten keinen Unterschied zu den Konsumkarotten feststellen können und die Kulturpflanze am Schluss untergeht in den wilden Möhren. Dieses Jahr gab es einen starken Durchwuchs in einer Bohnen-Parzelle mit Gelbsenf, der in der Mischung vorhanden war, um die Sandbienen im Zürcher Weinland zu fördern.
Zusammenhänge III
Zurzeit fahren wir Randen aus. Die Erträge sind sehr klein. Die Randen sind es auch! Nicht berücksichtigen konnte man bei den Preisverhandlungen im Frühjahr, dass es zu so geringen Erträgen kommen würde! Industriebetriebe halten an den Preisen ihrer Verträge fest obwohl ein massiver Preisaufschlag gerechtfertigt wäre. Ich glaube, ein Einlenken ist nicht in Sicht. Die Folgen davon werden sein, dass weitere Betriebe auf den Anbau von Randen im 2022 verzichten obwohl die Rande ein begehrtes Bio-Gemüseprodukt ist.
Zusammenhänge IV
Neu angetretene Parzellen, die auf Bio umgestellt werden, sind nicht immer in unkrautfreiem, zufriedenstellendem Zustand. Der konventionelle Landwirt greift nun zu seinem Standard-Bekämpfungsmittel um das es wieder sehr ruhig geworden ist (Glyphosat). Das Feld wird nach drei Wochen gelb, dem Landwirt gefällt’s, die Spaziergänger fragen sich, was da wohl passiert ist. Aber die Quecke (Schnürgras) und weitere Unkräuter wurden so eliminiert. Er kann so eine Kultur ansäen, diese bei der Strukturdatenerhebung anmelden und bekommt dafür Direktzahlungen. Nicht so der Bio-Bauer! Der bekämpft die Quecke durch Bodenbearbeitung, indem er die Wurzeln an die Oberfläche holt und dort austrocknen lässt. Und wenn das Feld ganz schlimm befallen ist, wiederholt er diesen Vorgang während Wochen, hat somit keine Kultur auf der Parzelle und bekommt nun aber auch keine Direktzahlungen.
Zusammenhänge V
Die digitale Landwirtschaft. Da sitzen junge ambitionierte Programmierer in ihren Büros und lösen an ihren Bildschirmen sämtliche Probleme, die da neben unseren Kulturpflanzen auf den Feldern auch noch wachsen. Wenn man die Referate gewisser Leute mithört, dann sind wir schon im Stande die ganze Landwirtschaft digital zu bewältigen. Menschen werden Randerscheinungen, Unkräuter verschwinden durch Roboterzauberhände, Wetter spielt keine Rolle mehr, alles also im grünen Bereich. Da mir Ende Monat immer die Lohnsumme durch den Kopf geht und diese ständig steigt, habe ich mich entschlossen, in ein absolut neues kameragelenktes
Karotten-, Zwiebeln- und Chicoréehackgerät zu investieren. Mit der Rechnung kam auch eine Bestätigung, für die ich in einem EU-Land einen grösseren Geldbetrag zurückfordern könnte, da ich so ein neuartiges und umweltfreundliches Hackgerät gekauft habe. In der Schweiz ist mir keine Stelle bekannt, wo ich den Betrag einfordern könnte. Nun, Gerät angehängt, der Techniker ist 7 Stunden aus Norddeutschland hierher gefahren um die Maschine einzuführen. Kleine Änderungen auf dem Feld mussten wir vornehmen, dann fuhr ich los. Der Techniker hatte die Steuereinheit hinten bei sich und lief der Maschine nach und konnte bei Abweichungen durch die Kamerasteuerung eingreifen. Das geht ja toll, habe ich mir gedacht! Das Hackgerät hackte tatsächlich links, rechts und zwischen den Doppelreihen. Wir fuhren bis um 12 Uhr und gingen dann essen. Am Nachmittag machten wir noch einen Versuch in einer anderen Parzelle. Hier brachen wir den Versuch ziemlich schnell ab. Der Boden war oben sehr hart. Die rotierenden Hackelemente brachen zwar die Kruste auf aber mit den kleinen Schollen lösten sich auch die Karottenwurzeln und wurden so vernichtet. Zu trocken, meinte der Techniker. Somit sind wir nach Hause unters Dach gefahren und dort haben wir noch die ganze Maschine zusammen im Detail angeschaut, die Programmiermöglichkeiten von denen ich hoffe, dass ich sie nie brauche, und dann ist er abgereist. Nun, ich habe zwei Tage später die Maschine wieder angehängt, bin auf die erste Parzelle gefahren und es blies ein starker böiger Seitenwind. Fazit: Die Kamera hatte keine Chance, die Reihen immer zu finden, da sich die Karottenblätter ja ständig bewegten! Ein weiteres Problem, das sich herausstellte: Wenn mitten zwischen den Reihen ein grosses Unkraut steht, bekam das Gerät eine Fehlermeldung und fuhr links oder rechts von der Reihe weg. Da der Bildschirm, den ich im Traktor aufgeschraubt hatte, viel zu klein ist, und das Bild absolut unscharf, war es für mich vom Traktor aus unmöglich von Hand nachzukorrigieren. Das was der Techniker natürlich konnte, weil er das Gerät 1:1 beim Nachlaufen beobachten konnte. Ich habe eine Mängelliste erstellt und diese per Mail an den Techniker geschickt: «Keine Probleme, alles lösbar, machen wir im Frühjahr.». Da bin ich schon sehr gespannt und ich lade dann alle Interessierten ein, diese High-Tech-Maschine in Aktion zu besichtigen.
Liebe Bio Bauern und liebe Bio Bäuerinnen, ihr seht, es bleibt spannend.
Autor: Heinz Höneisen, Co-Präsident Verein Bio ZH&SH, www.thurlandbio.ch