Qualität bei Frischgemüse – Was bedeutet das eigentlich genau?
Mit Qualitätsnormen verbindet eigentlich fast niemand viel Positives: Bei der Produktion sind sie unbeliebt, weil sie zu Rückweisungen des Abnehmers führen können, die Abnehmer ärgern sich, wenn die Normen von den Zulieferern nicht erfüllt werden können und beim Konsumenten scheinen sie Alleinverantwortlich zu sein, dass zu viel Ware nicht in den Verkaufskanal gelangen kann – Stichwort Foodwaste. Bei liberalen Gemütern ist zudem der Krümmungsgrad der Salatgurke ein oft herbeigezogenes Beispiel für ein sich im Regulierungswahn befindliches Staatswesen. Dabei ist der Grund für das Vorhandensein von Qualitätsnormen – nicht deren konkrete Ausgestaltung – eigentlich ein ganz simpler: Wir alle verstehen etwas Anderes unter Qualität. Eine Lexikondefinition von Qualität lautet etwa: «Qualität ist die Beschaffenheit einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Anforderungen zu erfüllen». Diese Anforderungen müssen jedoch irgendwo festgelegt sein.
Welche Qualitätsnormen für Gemüse gibt es in der Schweiz?
Im Lebensmittelrecht der Schweiz finden sich relativ wenige spezifische Vorgaben über die Qualität von Frischgemüse. Nebst der für alle Lebensmittel geltenden Grundlagen wie gesundheitliche Unbedenklichkeit und Deklaration, findet sich einzig in der Verordnung über Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Pilze und Speisesalz (VLpH) der Hinweis darauf, dass Gemüse «sauber, unversehrt und sortentypisch, normal entwickelt, erntereif und wenn es gewaschen wurde, gut abgetropft» zu sein hat. Anders als bei den Kartoffeln wird bei Frischgemüse auch keine Deklaration der Sorte verlangt. Über die lebensmittelrechtlichen Grundlagen hinaus erarbeiten jedoch die Handelspartner der Branche d.h. der Verband der Gemüseproduktion VSGP und der Verband der Händler Swisscofel, die «Schweizerischen Qualitätsbestimmungen für Gemüse». Letztmalig überarbeitet wurden diese Bestimmungen 2017 und sind öffentlich unter www.qualiservice.ch/dienstleistungen abrufbar. Diese für jeden einzelnen Gemüseartikel spezifischen Normen bilden die Grundlage des in der Schweiz im Handel befindlichen Gemüses, also auch der Importware. In diesen Dokumenten sind sowohl die Mindestanforderungen wie Sauberkeit, Absenz von Schädlings- und Krankheitssymptomen etc. als auch die besonderen Bestimmungen der einzelnen Gemüseartikel und die tolerierten Kaliber und Sortierungen definiert. In den besonderen Bestimmungen ist z.B. definiert welcher Thripsbefall bei Lauch noch akzeptabel ist, oder dass Mindestens ¾ des Durchmessers einer Lavata-Endivie gebleicht sein muss. Bei den Salatgurken findet sich hier übrigens auch der ominöse Krümmungsgrad. Dieser darf nicht mehr als 10 mm auf 10 cm Gurkenlänge betragen. Es handelt es sich dabei also nicht um eine staatliche Vorgabe, sondern um eine Übereinkunft der Handelspartner. Diese Qualitätsbestimmungen gelten sowohl für konventionelle Ware als auch für Bioprodukte. Die Vorstellung, dass im Biosegment grundsätzlich schlechtere Qualitäten akzeptiert werden ist also falsch. Einzig bei den Mindestgrössen und Kalibrierungen (z.B. bei den Kopfsalaten) gibt es Unterschiede zwischen den Produktionsrichtungen. Diese Qualitätsnormen bilden die Grundlage im Schweizer Gemüsehandel. Daneben gibt es auf internationalen Ebene EU-Normen sowie die sogenannten UNECE-Normen. Zudem Arbeiten gewisse Abnehmer auch mit eigenen, weiterführenden hausinternen Normen und Qualitätsstandards.
Schweizerische Qualitätsnormen Gemüse
Qualitätsnormen als Bestandteil der Spielregeln im Gemüsehandel
Die Qualitätsbestimmungen der Branche bilden einen integralen Bestandteil der Schweizer Handelsusanzen – vereinfacht gesagt der «Spielregeln» im Gemüsehandelt. Durch die Qualitätsbestimmungen sind nebst den geforderten Qualitäten auch die Begriffe genau definiert. Das tönt auf den ersten Blick vielleicht banal, wird aber schnell konkret, wenn man sich z.B. die Unterscheidung zwischen Bundzwiebeln und Cipollotte anschaut. So wird bei Bundzwiebeln ein entwickelter Zwiebelansatz verlangt, bei Cipollotte darf dieser Ansatz hingegen nur schwach entwickelt sein. Ein weiteres Beispiel ist die Einteilung der verschiedenen Tomatenartikel nach Durchmesser in die Positionen Cherry, Rispentomaten und Fleischtomaten.
Durch dieses gemeinsame Verständnis der Begriffe und Qualitäten ergibt sich im Gemüsehandel eine unverzichtbare Grundlage darüber, was gemeint ist, wenn die Marktakteure in Verhandlung treten. Dies gilt insbesondere, weil der Markt (also das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage) in den meisten Fällen über Telekommunikationsmittel stattfindet und nicht physisch. Wenn ich ein Preisangebot mache muss ich als Abnehmer wissen, welche Qualitäten ich zu diesem Preis mindestens erwarten kann. Zudem haben beide Parteien eine Grundlage worauf Sie sich beziehen können, falls es zu Uneinigkeiten kommt. Ein geordnetes Marktgeschehen ohne ein gemeinsames Verständnis der Mindestanforderungen ist mit den schnellen Umschlagsgeschwindigkeiten wie sie im Gemüsemarkt vorherrschen schlicht nicht denkbar. Zudem bietet diese Grundlage auch einen Schutz für den Konsumenten, welcher letztlich von einer gleichbleibenden Mindestqualität profitiert.
Wie eingangs erwähnt ist die Frage nach dem Nutzen von Qualitätsnormen an sich von der Frage nach deren konkreten Inhalt zu trennen. Diesbezüglich ist es sicher richtig und wichtig die Normen periodisch auf den Prüfstand zu stellen um unnötige Lebensmittelverluste zu verringern. Besondere Umstände erfordern dabei auch besondere Massnahmen. Die meisten Konsumenten dürften im Frühjahr 2020 wohl die grossen Industriekaliber bei Lagergemüse wie Karotten oder Knollensellerie bei den Detailhändlern bemerkt haben, die toleriert wurden. Die simple Vorstellung einfach die Normen über den Haufen zu werfen um damit das Problem der Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen, ist jedoch sehr kurz gedacht. Im Gegenteil würden auf dem Frischgemüsemarkt ohne Normierung schnell chaotische Zustände herrschen, die ein effizientes Marktgeschehen und damit eine effiziente Verteilkette erschweren würde. Nicht zuletzt bietet dieses System für Direktvermarkter den Vorteil sich auch aktiv von der «Handelsware» zu differenzieren.