Krankheitsmodelle im Gemüsebau – zaghafte Schritte vorwärts
Ein Grund weshalb Krankheits- und Prognosemodelle im Gemüsebau geringe Anwendung finden liegt in der Kulturvielfalt. Die in der Schweiz flächenmässig bedeutendste Kultur, die Karotte, bringt es momentan auf rund 2000 ha Anbaufläche (Quelle: SZG). Zum Vergleich; von der in der Schweiz bedeutendsten Rebsorte, dem Blauburgunder, steht beinahe die doppelte Fläche im Anbau. Zudem sind im Gemüsebau durch den satzweisen Anbau die Anbauzeiträume häufig nicht so einheitlich wie bei den Dauerkulturen. Weiter wird Gemüse, anders als Obst und Wein, mit wenigen Ausnahmen nicht unter dem Sortennamen vermarktet. Durch die Resistenzzüchtung unterliegt der Sortenkatalog daher einem schnellen Wandel. Das alles führt dazu, dass die Flächen, über die ein Krankheitsmodell eine gleiche Aussage treffen kann (d.h. gleiche Kultur, ähnlich anfällige Sorte und vergleichbares Entwicklungsstadium), im Gemüsebau kleiner sind als bei den Dauerkulturen. Demensprechend ungünstig ist das Verhältnis zwischen Entwicklungskosten und den potentiellen Nutzern der Modelle. Weiter ist im Gemüsebau anders als im Weinbau die ganze Kulturpflanze selber auch häufig gleich das verkaufte Endprodukt. Dementsprechend ist auch ein geringer Befall mit einer Krankheit am Markt nicht tolerierbar. Folglich ist auch das unmittelbare Risiko, das man beim Befolgen eines Krankheitsmodells eingehen müsste, bei Gemüse höher als z.B. im Weinbau. Weil es von der Qualität her keinen Spielraum gibt, ist man im Gemüsebau dazu gezwungen auf Nummer sicher zu gehen.
Modelle zum Zwiebelmehltau und zu Stemphylium in Spargel
Aufgrund der obigen Ausführungen erstaunt es nicht, dass eine der wenigen Anwendungen von Krankheitsmodellen in Zwiebeln zu finden ist. Zum einen sind Zwiebeln in ganz Europa flächenmässig eine bedeutende Kultur und zusätzlich sind die Anbautermine dieses Lagerprodukts einigermassen einheitlich. Bereits um die Jahrtausendwende wurde in Deutschland das Modell ZWIPERO zur Prognose des falschen Mehltaus an Zwiebeln (Peronospora destructor) entwickelt und getestet. Das Modell arbeitet dabei zweistufig. Ausgehend von gemessenen Wetterdaten und Angaben zur Kulturführung wie z.B. Saatdichte, Kulturhöhe etc. wird zuerst das Bestandesklima in der Kultur modelliert. Darauf aufbauend modelliert dann das eigentliche ZWIPERO-Modell das Sporulations- und Infektionsrisiko. Das Modell hat sich in Deutschland gut etabliert, benötigt als Input jedoch die erwähnten Bestandesklimadaten des Deutschen Wetterdienstes. Im Rahmen des Ressourcenprojekts PFLOPF (Planzenschutzoptimierung mit Precision Farming) wird unsere Fachstelle 2021 das ZWIPERO Modell an ausgewählten Standorten einsetzen können. Bereits 2020 wurde ebenfalls im Rahmen von PFLOPF das Mehltaumodell MILIONCAST auf Basis von Daten von Pessl-Wetterstationen in Zwiebeln angewendet Link zum Versuchsbericht. MILIONCAST wurde ebenfalls um die Jahrtausendwende jedoch in England entwickelt. Anders als in ZWIPERO wird bei MILIONCAST die Bestandesentwicklung nicht mitberücksichtigt d.h. man muss selber abschätzen ab wann die Kultur überhaupt infiziert werden kann. 2021 sollen im Rahmen eines kleinen Versuchs beide Modelle direkt an einer Zwiebelparzelle in Wülflingen miteinander verglichen werden.
Momenten noch in Entwicklung ist eine Entscheidungshilfe für das Auftreten von Stemphylium, der bedeutendsten Blattkrankheit an Spargel. Das Modell mit dem Namen SIMSTEM wird momentan durch die ZEPP (Zentralstelle der Länder für EDV-gestützte Entscheidungshilfen und Programme im Pflanzenschutz) in Deutschland entwickelt und validiert. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie das Modell in der Praxis Anwendung findet. Allenfalls wird das Modell auch Thema eines künftigen Spargelnachmittags sein.
Chancen aber auch Limiten von Prognosemodellen kennen
Obige Beispiele zeigen erste zaghafte Schritte der Anwendung von Krankheitsmodellen auch im Schweizer Gemüsebau. Dabei ist es wichtig im Auge zu behalten was solche Modelle leisten können und was nicht. Letztlich handelt es sich bei jedem Krankheitsmodell eigentlich nur um einen mehr oder weniger komplexen Rechenweg, der aus den Inputdaten einen Output meist in Form eines Infektionsrisikos zum Zeitpunkt X errechnet. Das heisst umgekehrt auch, dass selbst das beste Modell einen Käse ausspuckt, wenn am Anfang Käse hineingespielt wird. Sind beispielsweise die eingegebenen Wetterdaten verschieden zu den Verhältnissen vor Ort, kann das Modell in die Irre führen. Dabei sind aber die Parameter (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Blattnässe etc.) nicht in jedem Modell gleich gewichtet und für die Modellstabilität auschlaggebend. Genau diese Zusammenhänge müssen in den Feldversuchen "ertastet" werden. Weiter ist es wichtig zu wissen, welche Parameter bei den Modellen überhaupt berücksichtigt werden. Beispielsweise wird bei den vorgestellten Modellen zum falschen Zwiebelmehltau das Inokulum (Sporendichte in der Umgebung die infizieren können) zu Saisonbeginn nicht berücksichtigt. Dieses "Grundrisiko" muss dort also zusätzlich berücksichtigt werden, solange keine Sporenfallen diese Information liefern.
Krankheits- und Prognosemodelle werden künftig sicher auch im Gemüsebau an Bedeutung gewinnen. Sie werden dabei aber wohl nie eine bombensichere Versicherung sein. Können die entscheidenden Infektionsereignisse modelliert bzw. prognostiziert werden, könnten sie jedoch eine wichtige Informationsquelle in der Pflanzenschutzstrategie darstellen. Auch die besten Modelle bringen aber wenig, wenn anschliessend keine potenten PSM zur Verfügung stehen um die Krankheiten zu bekämpfen. Da können die Anwendungen auch noch so gezielt platziert werden.